Einleitung Grünlande Tjanad Windlande Belar Edening Trutz Nachwort

<<

 

>>

Der Krieger, der ihn in die Zelle bringen sollte, in der er auf die Verhandlung warten würde, schien ein besonderes Vergnügen darin zu finden, ihm seinen Unwert besonders deutlich zu machen. Er führte ihn durch alle Flure in den oberen Stockwerken und zeigte ihm, wie komfortabel die Zellen hier ausgestattet waren, die für Bürger bestimmt waren. Wenn er Schnellzunge ansprach, benutzte er nie den Namen, sondern nannte ihn einfach nur "Dienstleister". Das Wort spuckte er verächtlich aus und warf dabei stolz immer wieder die langen Haare nach hinten. Er wirkte noch sehr jung, dabei war er mit Sicherheit älter als Schnellzunge, die Kriegerausbildung dauerte schließlich fünf Jahre.

Mit einem spöttischen "Fühl dich wie zu Hause, Dienstleister!" schloss er schließlich die schwere Metalltür der kahlen, grauen Zelle im Untergeschoss hinter sich.
Schnellzunge hatte das Gefühl, seine Beine könnten ihn nicht mehr halten. Es war kalt hier. Er ließ sich auf den aufgeplatzten Strohsack sinken, der die einzige Ausstattung des Raumes bildete, und starrte auf den schmutzigen Fußboden.

Schnellzunge wusste, dass er dumm war, das war er schon in der Schule gewesen. Er hatte unverschämtes Glück gehabt, dass sein Onkel als einer der Dreißiger sich für ihn eingesetzt und ihm die angesehene Stellung im Palast vermittelt hatte, nachdem er bei allen Aufnahmeprüfungen versagt hatte.
Man brauchte nicht besonders intelligent zu sein, um zu begreifen, dass das hier die Endstation seines Lebens war. Wenn er viel Glück hatte, würde er noch ein paar Jahre als Müllsammler oder Straßenkehrer arbeiten können. Wahrscheinlicher aber war, dass er in einer Zelle wie dieser langsam verrotten würde. Schließlich hatte er nicht nur ein Küchenmesser gestohlen, sondern die Pistole des Königssohnes. Jungrotstern war zwar erst fünfzehn, aber unter den Dienstleistern des Palastes schon jetzt für seine Arroganz und seinen Jähzorn berüchtigt, und er würde sicherlich persönlich für eine harte Bestrafung sorgen.

Er legte sich zurück, das Stroh knisterte und stach, als wollte es ihn wie der junge Krieger noch mehr demütigen, und spürte jede Hoffnung mit den Tränen an seinen Schläfen herabrieseln.

Langsam wurde das Licht, das durch den schmalen Fensterschlitz knapp unter der Zimmerdecke hereinkam, diffuser. Im Dämmerlicht wurde der Raum immer mehr zu einem alptraumhaften Kerker. Die Wände rückten näher und näher, die Stille begann in Schnellzunges Herz zu kriechen und dort zu einem unerträglichen Gewicht zu werden.

Als es ganz dunkel war, versuchte er zu schlafen - die einzige Möglichkeit zu fliehen, die ihm blieb. Lange wälzte er sich auf dem schimmelig riechenden Stroh hin und her, ohne zur Ruhe zu kommen, aber irgendwann in der Nacht nickte er doch noch ein.

Sein Schlaf war sehr leicht. Als die Tür sich mit leisem Knarren öffnete, wachte er sofort auf. Ein Luftzug wehte in die Zelle, wirbelte das lose herumliegende Stroh auf und trieb ihm Staub in die Augen, so dass der Mann an der Tür wegen der Tränenflüssigkeit nur noch ein verschleierter Schemen war.

"Steh auf!" befahl der Schatten. Schnellzunge rieb sich die Augen und gehorchte.
"Komm her!" Schnellzunge ging halb blind auf die Stimme zu. Seine Augen beruhigten sich nur langsam. Zwischen dem Blinzeln erkannte er nicht mehr, als dass der Mann schulterlange Locken hatte und keine Uniform trug. Jetzt schob er ihn aus der Zelle in den erleuchteten Gang.

Schnellzunge fragte nicht, wohin er gebracht wurde. Willenlos ließ er sich aus dem Gefängnis führen. Er wagte nicht, sich nach seinem Begleiter umzudrehen, auch nicht, als die Wachen vor ihm salutierten.
Vor dem Gebäude wartete eine kleine geschlossene Fedkutsche, von der dezent luxuriös verarbeiteten Art, wie sie Obere nutzten, die auf dem Weg zum Hurenviertel oder sonstigen heimlichen Aktivitäten nicht auffallen wollten. Sie stiegen ein, der Fremde lehnte sich im Sitz zurück, so dass sein Gesicht im Schatten blieb. Schnellzunge sah im Schein der Straßenlaterne nur die schlanken Hände auf den Knien liegen, dort wo die modische Hose einen anliegenden Einsatz hatte.
Der Wagen fuhr an. Die weichen Hufe des Feds machten kein Geräusch auf dem Pflaster. Schnellzunge kam sich vor wie in einem Traum. Sein Begleiter sagte während der ganzen Fahrt durch das Gassengewirr der Altstadt kein Wort.

Schließlich hielt die Kutsche. Sie befanden sich vor einem der typischen trutzischen Einzelhäuser. Es hatte nur wenig mehr als die Breite des Tores, durch das sie jetzt in den dahinter liegenden, unbeleuchteten Hof einfuhren. Immer noch schweigend stieg der Fremde aus und winkte Schnellzunge im Dämmerlicht, ihm zu folgen.Schnellzunge ging dem wehenden Mantelsaum nach, der ihm auf der schmalen Treppe nach oben den Weg zeigte.

Als er durch die Tür trat, lag der Mantel über einem der Stühle an dem kleinen Tisch an einer Seite des Zimmers, und sein Besitzer zog gerade die Zündkette des zweiten Wandlichtes. Schnellzunge schloss die Tür hinter sich und ließ den Blick einmal durch den Raum wandern.
Es war ein gemütlicher Wohnraum, edler eingerichtet, als man es bei der geringen Größe des Hauses erwarten würde. An einer Wand stand ein glänzend poliertes Holzschränkchen, dicke Teppiche bedeckten den Boden fast gänzlich, und die Fenster wurden von schweren roten Samtgardinen verhangen.

Jetzt drehte der Mann sich um. Schnellzunge sah ihn an un schnappte erschrocken nach Luft. Hatte er vorhin noch gedacht, dass es nicht schlimmer kommen könnte? Das hier war schlimmer.
Dieses ewig spöttische Lächeln in dem unregelmäßigen und doch anziehenden Gesicht mit der scharfen Nase kannte er. Jeder kannte es.
Aber nur, wer im Palast lebte, wusste, dass der König große Anstrengungen unternahm, um die unnatürliche und widerwärtige Neigung seines Bruders zum eigenen Geschlecht vor der Öffentlichkeit zu verbergen, weil selbst er nicht wagte, das Gesetz bei ihm durchzusetzen...

Schnellzunge war nicht klug, aber er hatte genug Phantasie, um sich vorzustellen, dass seine Notlage eine gute Gelegenheit für Dachspiel bot, ein rechteloses Opfer für seine sexuellen Spiele zu bekommen. In Panik griff er hinter sich nach dem Türriegel.

"Bleib. Auf der Treppe steht sowieso mein Kutscher, an dem kommst du nicht vorbei." Die Stimme des Königsbruders klang so ruhig, als mache er eine Bemerkung über das Wetter. Dabei wich das süffisante Lächeln nicht aus seinem Gesicht.

Schnellzunge fühlte sich wie ein Wandling vor dem Wolf. Sein Magen war ein verkrampfter Klumpen, und er war unfähig, irgendetwas zu tun oder zu denken.

Dachspiel nickte ihn zum Tisch hin. "Setz dich."
Schnellzunge ging auf zittrigen Beinen zu einem der Stühle und hockte sich auf die Kante.

"Nun", sagte Dachspiel, der immer noch stand, "Dienstleister habe ich hier keine, darum darf ich dir selber etwas zu trinken anbieten - Saftling, Wasser, Tee?"

Schnellzunge schluckte. Der Mann spielte mit ihm! "Nichts, danke", flüsterte er heiser.

"Wie schade - ich hätte mich gern in die Kunst des Nichts-Könnens einweisen lassen. Es ist sicher eine schwere Aufgabe, einen Becher Wasser einzugießen, nicht wahr?"
Er setzte sich. Das Lächeln blieb, während seine Augen Schnellzunge abtasteten.
Schnellzunge fühlte sich, als wäre er bereits nackt. Er versuchte wegzusehen, aber es war, als fülle Dachspiels lüsterner Blick jeden Winkel des Raumes. Es gab kein Entkommen.

"Verrätst du mir, warum du die Pistole meines unerfreulichen Neffen gestohlen hast, um dann auf dem Dach in die Luft zu schießen?"

"Ich wollte sie zurückgeben... nur ansehen", murmelte Schnellzunge und begann sich zu wünschen, der Mann würde endlich mit dem anfangen, was er tun wollte. Alles war besser als die Angst davor.

"Nur ansehen, ach so." Das Leder des Stuhles knarrte leise, als sich Dachspiel lässig zurücklehnte und die Beine ausstreckte. "Wusstest wohl nicht, dass das Ding zum Schießen da ist, was?"

Schnellzunge wollte "doch" sagen, aber es kam nur ein Krächzen heraus, und er versuchte es nicht noch einmal.

"Hm", machte Dachspiel und strich sich die Haare hinters Ohr, "Unsere Unterhaltung ist recht einseitig, findest du nicht?"
Diesmal öffnete Schnellzunge nicht einmal den Mund. Er hatte keine Lust auf diese Spielchen. Sollte der Königsbruder doch gleich über ihn herfallen, damit es endlich vorbei war.

"Nun, dann schlage ich dir mal ein Thema vor: Was klatscht man denn so über mich in den Apsiden?"
Schnellzunge presste die Lippen aufeinander. Was sollte das nun wieder?
"Na los, ich will alles hören!" Dachspiel lehnte sich vor und stützte die Hände an die Tischkante.

 

<<

↑↑

>>