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Eine Erzählung aus Trutz

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as Gas zischte aus den Düsen am Herdboden, als Schnellzunge den Regler öffnete und die Flamme des Feuermachers daranhielt. Gleichmäßig stiegen die bläulichen Zungen nach oben. Anders als bei einem Feddungfeuer prasselte und knackte nichts, sprühten keine Funken. Das Feuer gehorchte demjenigen, der den kleinen Hebel an der Seite betätigte - ihm! Er war nun schon zwei Monde hier in Trutz, im Küchenbereich des Königspalastes, und noch immer faszinierte ihn die Gastechnik, die es daheim auf dem Hof seines Vaters nicht gegeben hatte.

Er schwenkte den großen Kessel über die Flammen und begann, die über Nacht eingeweichten Rotkörner mit Milch und Gewürzen zum täglichen Frühstücksbrei für die Dienerschaft in seiner Palastapsis zu verkochen. Solange er derjenige war, der am kürzesten hier war, war das seine Aufgabe. Bisher tat er sie gern, auch wenn er dafür früher aufstehen musste. Er genoss es, die Küche so ganz für sich allein zu haben.

Während er immer wieder umrührte, um zu verhindern, dass sich die Masse am Kesselboden festsetzte, holte er Schüsseln und Löffel aus dem Gesindeschrank und stellte sie auf den kleinen Tisch neben dem Herd. Dienstleister aßen im Stehen, alles musste schnell gehen. Auch das war Schnellzunge von zu Hause nicht gewohnt.

Die große Uhr in der Mitte der halbrunden Außenwand schlug den Tagesbeginn. Schnellzunge schaute hinüber zu dem schlichten Eisenkasten mit dem emaillierten Zifferblatt, dann wanderte sein Blick kontrollierend durch den Raum. Wenn nicht alles blitzblank war, würde es Ärger vom Aufseher geben. Da, tatsächlich - unter dem Fenster lag etwas. Schnell ging er hinüber, um es aufzuheben, bevor die anderen kamen.

Sein Herz setzte einen Moment aus, als ihm klar wurde, was da vor seinen Füßen auf den dunklen Fliesen lag. Seit er denken konnte, hatte er den Wunsch gehabt, einmal, nur ein einziges Mal, eine echte Pistole in der Hand halten zu können.
Liebevoll schlossen sich jetzt seine Finger um den glattpolierten Griff aus echtem, massivem Holz, strichen über den ziselierten Lauf, berührten vorsichtig den Hahn - da belebte sich der Flur vor der Küchentür. Ohne nachzudenken steckte Schnellzunge die Waffe in die Tasche seines Kittels, zu all den anderen Dingen, die sich dort angesammelt hatten: seine Spülbürste, mehrere Wischlappen, der Feuermacher, ein Stück Schnur, ein Brotkanten.

Dann begann der Arbeitstag. Hastig essen, hastig spülen, hastig backen, hastig kochen, braten, dünsten und anrühren, mit kostbaren Spezialitäten umgehen, die man selber nicht einmal probieren durfte, und wieder spülen, wischen und polieren bis endlich der Mittag da war, die Herrschaften ihr Mahl bekommen hatten und Schnellzunge eine kostbare Stunde Pause machen durfte.

Heute war er selbst in seiner Pause hastig. Er rannte nach unten, in den Schlafraum, den er mit fünf anderen teilte, riss die gesteppte Jacke und seine alte grüne Mütze vom Haken und kletterte schon die schmale Treppe zum Vorratsboden hinauf, während er noch die Häkchen der Jacke schloss. Die Mütze steckte in der Jackentasche. Sie war so ausgeleiert, dass sie ihm über den kurzgeschnittenen Haaren immer ins Gesicht rutschte, darum wollte er sie erst aufsetzen, wenn er die Leiter tief in der dunkelsten Ecke des Bodens erklommen hatte.
Es war noch nicht lange her, dass er diese Leiter und den kleinen Platz auf dem Dach der Apsis entdeckt hatte. Es war nicht sonderlich bequem dort, besonders jetzt im Nebelmond, wenn der Regen langsam eisig wurde, aber es war der einzige Platz, an dem er allein und ungestört war.
Die Apsis war zwar nur halb so hoch wie der eigentliche Palastbau, aber sie war hoch genug, dass man von ihrem Dach aus über die Dachlandschaft der umliegenden Häuser hinwegsehen konnte wie über einen Strand voller spitzer Steine. Zumindest, solange man stand und sich nicht, wie Schnellzunge es jetzt tat, in dem Winkel verkroch, den der flache Helm des Anbaus mit dem Dachkranz des äußeren, niedrigeren Palastringes bildete.

Es war kalt geworden in den letzten Tagen. Die ersten Schneestürme würden nicht mehr lange auf sich warten lassen. Schnellzunge zog sich rasch die Mütze über die Ohren. An seine Handschuhe hatte er nicht gedacht, aber wie hätte er damit auch seinen Traum richtig untersuchen können?
Ganz vorsichtig holte er die Pistole hervor. Sie sah ganz neu und glatt aus, kein Kratzer verunzierte das rotbraune Holz, und das gravierte Metall glänzte silbern. Der Hahn war wie der Kopf eines Renners gestaltet: mit geblecktem Gebiss und flatternder Mähne schaute er den Lauf entlang. Schnellzunge schob sich die rutschende Mütze aus dem Gesicht, um besser sehen zu können. Vorsichtig drückte er den Pferdekopf nach hinten. So spannte man die Pistole nur, davon schoss sie noch nicht. Schießen würde sie nur, wenn er den Abzughebel zurückziehen würde, und das hatte er natürlich nicht vor. Aber so tun konnte er. Da legte man den Finger hin...

In diesem Augenblick fegte eine plötzliche Windbö ihm die Mütze vom Kopf. Schnellzunge zuckte zusammen, wollte die Mütze festhalten...

Ein Schuss knallte laut über das Palastdach.

Schnellzunges Ohren dröhnten. Die Pistole fiel aus seiner Hand und rutschte das Dach hinab in den Hof, wo sie mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden aufschlug.

Schnellzunge starrte auf seine zitternden Hände. Er hatte geschossen! In welche Richtung hatte er die Pistole gehalten, was oder - oder wen hatte er getroffen? Da, nach links hatte der Lauf gezeigt.

Er atmete tief durch. Dort war nichts. Es konnte nichts zu Schaden gekommen sein. Er schloss für einen Moment die Augen. Es war nichts passiert.

Tief unter ihm klappten Türen. Schnelle Schritte knirschten auf dem Kies. Menschen sprachen, riefen, waren still und redeten wieder aufgeregt. Die Stimme des Aufsehers drang zu ihm durch. Sie drang immer durch.
"Die Pistole des Königssohns! Sie muss hier vom Dach heruntergefallen sein. Der Dieb ist entweder tot oder noch da oben..."

Dieb?
Jetzt erst wurde Schnellzunge klar, dass eben doch etwas passiert war. Er hätte die Pistole sofort abgeben müssen. Und sie gehörte auch noch dem Königssohn. Niemand würde ihm glauben, dass er sie nicht hatte behalten wollen.

Aber noch wussten sie ja nicht, wer hier saß! In fliegender Eile schlüpfte Schnellzunge durch die Dachluke, rutschte die Leiter so schnell hinab, dass er sich die Hände aufscheuerte, rannte zur Treppe, stürzte hinab in die Küche, fiel, rappelte sich wieder auf und humpelte zur Treppe zum Untergeschoss. Er hatte sie gerade erreicht, als zwei seiner Mitdiener zur Tür hereinkamen. Geistesgegenwärtig drehte Schnellzunge sich um, so dass es aussah, als käme er gerade herauf.

"Was ist denn los? Was war das für ein Knall?" fragte er atemlos und war froh um das Dämmerlicht im Flur. Jeder würde sonst die Angst in seinem Gesicht lesen können.
"Irgend so ein Trottel hat die Pistole des Königssohns geklaut. Ist noch da oben." Schon waren sie auf der Treppe zum Boden.

Langsam ging Schnellzunge zur Tür. Er musste da hinaus, alles andere wäre verdächtig.

Alle starrten ihm entgegen. Er brauchte nur einen kurzen Blick auf die schäbige grüne Mütze in der Hand des Aufsehers zu werfen, um zu wissen, dass seine Anstrengung umsonst gewesen war.


Hinweis der Herausgeberin: Diese Geschichte spielt im aktuellen Jahr 758, also 29 Jahre nach Windflugs Reiseführer. Sie entstand eigentlich für den Weltenbastler-Zoomquilt 2006, macht sich aber auch alleine ganz gut, finde ich. :-)

 

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