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Was wollte er hören? Heldengeschichten? Dass man ihn für seine Extravaganzen heimlich bewunderte? Wahrscheinlich wollte er sich in seinem schlechten Ruf sonnen.
Den Gefallen würde ihm Schnellzunge nicht tun. Eine unerwartete Wut stieg in ihm auf. Er hob den Kopf und schaute seinem Gegner in die Augen. Das hier war seine Chance, sich im Voraus für die Gewalt zu rächen, die ihm angetan werden würde. Er hatte nichts mehr zu verlieren.

"Es heißt, Ihr treibt es nicht nur mit Männern, sondern auch mit Tieren", begann er und wunderte sich selber, wie klar und kräftig seine Stimme klang.
"Ihr sollt es sogar beim Königssohn versucht haben, und der hat sich nur mit seinem Dolch retten können. Ihr habt eine sehr schmerzhafte Geschlechtskrankheit, eine, die man nur kriegt, wenn man es mit Männern tut, und die übertragt Ihr auf Eure Geliebten. Die meisten krepieren irgendwann dran.
Ihr seid Schuld daran, dass die Hochzeit zwischen der Königsschwester und dem Turmherrn in Turming nicht zustande kam, und darum müssen wir jetzt einen Krieg fürchten. Ihr schleicht Euch nachts durch den Palast und belauscht die Räte, die Günstlinge, ja sogar den König, um Material für schmierige Intrigen und Erpressungen zu bekommen. Eure Liebhaber liefert Ihr oft genug selbst ans Messer, damit sie nichts von Eurern schmutzigen Geheimnissen verraten können. An Weiser Raumherz Leichthands Tod seid Ihr auch Schuld.
Ihr habt keine Freunde, und Ihr werdet auch nie welche haben. Euer Bruder hasst Euch, denn Ihr bringt das Königshaus in Verruf. Ihr habt mehr Feinde als Ihr zählen könnt, aber weil Ihr der Königsbruder seid, hat sich bisher keiner an Euch rangewagt.
Aber man flüstert schon, dass Ihr Euch mit dem letzten Wortgefecht mit Kriegsrat Nachtbraue Viermesser übernommen habt und dass Ihr die Jahrfeuertage nicht überleben werdet. Vielleicht geht Ihr aber auch schon vorher an der Krankheit zugrunde, oder eins der Pferde, mit denen Ihr es tun wollt, tritt Euch zu Tode. Da wäre wohl niemand traurig."

Dachspiels Hände umklammerten den Tisch sehr fest.
"Das mit Jungrotstern ist allerliebst", sagte er und verzog den Mund, aber das Lächeln war längst aus seinem Gesicht verschwunden und kehrte durch diese Bewegung nicht zurück. "Als ob irgendjemand dem kleinen Ekel auch nur auf Armlänge näherkommen wollte..."

Er stand mit einem solchen Ruck auf, dass der Stuhl umfiel. Das Möbelstück blieb unbeachtet liegen.

Schnellzunge kauerte sich instinktiv zusammen. Jetzt war der Augenblick gekommen. Die Wut verflog so schnell wie die Angst wiederkehrte. Wahrscheinlich hatte er es sich durch seine Rede noch schlimmer gemacht.

Dachspiel flüsterte etwas vor sich hin. "Raumherz..." verstand Schnellzunge, dann sprach der Königsbruder laut: "Danke für deine Ehrlichkeit, - Schnellzunge."

Er benutzte seinen Namen? Schnellzunge schaute überrascht auf. Dachspiel schien sehr blass.
"Es war interessant. Schmerzhaft, aber interessant. Auch wenn einiges davon einer ziemlich schmutzigen Phantasie entsprungen zu sein scheint." Ein Anflug des ironischen Lächelns kehrte zurück. "Deinen Namen trägst du jedenfalls zu Recht. Dummerweise wirst du ihn in Zukunft nicht mehr brauchen."

Schnellzunge erschrak. Er war wirklich dumm gewesen - natürlich würde Dachspiel ihn töten. Nach dem, was er ihm ins Gesicht geworfen hatte, war das sogar irgendwie verständlich. Er sah sich gehetzt um, aber es gab immer noch keinen Ausweg.

"He!" Dachspiels Stimme zwang seine Augen zurück. Der Königsbruder schüttelte den Kopf. "Du glaubst tatsächlich, ich sei so eine Art menschliches Monster, was? Mein Verstand, ich bringe niemanden um, weil er mir Bosheiten entgegenschleudert, und - falls dich das auch noch beunruhigt - ich gehe auch nicht mit jedem dahergelaufenen Dienstleister ins Bett. Schon gar nicht, wenn er so mickrig ist wie du." Langsam kehrten seine Gesichtszüge wieder in das gewohnte Muster zurück.

Schnellzunge starrte ihn ungläubig an. Warum hatte er ihn dann aus dem Gefängnis geholt?

"Was ich sagen wollte, war, dass du in Zukunft Pfeiflauf Rennerohr heißen wirst. Den Namen habe ich nämlich in dem Empfehlungsschreiben benutzt, mit dem du dich in am besten in Landing um eine Stelle bemühen solltest, möglichst weit weg von hier. Die Geschichte zu diesem bescheuerten Namen kannst du dir selber ausdenken."
An dieser Stelle verzog sich sein Gesicht zu einem breiten Grinsen. Schnellzunge mochte dieses Grinsen nicht. Er verstand nicht, was hier gerade vor sich ging.

"Komm!" Dachspiel warf sich den Mantel um. Dann packte Schnellzunge am Arm und zog ihn zur Tür hinaus.
Auf der Treppe wartete der breitschultrige Kutscher. Er übernahm den Widerstrebenden, schob ihn zu dem immer noch abfahrbereit stehenden Fedwagen hinüber und schubste ihn hinein. Dachspiel stieg zu, und bevor Schnellzunge sich aufrappeln und wieder aussteigen konnte, fuhr die Kutsche an.

"Wohin bringt Ihr mich?" fragte Schnellzunge und versuchte, die Panik aus seiner Stimme zu vertreiben. Er traute diesem Mann keinen Fingerbreit über den Weg, egal was er auch sagen mochte.

"Rate mal", erwiderte Dachspiel. Sein Gesicht lag wieder im Schatten, aber das pure Vergnügen an der Situation war in seiner Stimme gut genug zu hören.

"Ich will das nicht raten!"

"Dann lass dich überraschen."

Schnellzunge schwieg. Was gab es auch noch zu sagen?

Die Vorhänge der Kutsche waren geschlossen. Schnellzunge hatte bereits auf der letzten Fahrt jede Orientierung verloren, jetzt bemühte er sich gar nicht erst, sie wiederzufinden. Er konnte sowieso nichts tun.
Es dauerte allerdings nicht lange, bis es doch einen Anhaltspunkt für ihn gab: Ein immer stärker werdendes Rauschen drang durch die Vorhänge. Sie waren also in Flussnähe. Die Kutsche hielt, Dachspiel stieg aus.

"Na komm schon, Pfeiflauf!", rief er. Langsam kletterte Schnellzunge aus dem Wagen. Sie waren tatsächlich direkt am Ufer des Krafte, knapp unterhalb der Stelle, an der die neuen Wasserräder der Drucker ihren unermüdlichen Dienst taten.
Am Flussrand lag ein dunklerer Schatten auf dem im Mondlicht glitzernden Wasser. Eine Gestalt hob sich daraus empor und rief leise "Dach?" zu ihnen hinüber.

"Genau der", rief Dachspiel ebenso leise zurück. Dann wandte er sich Schnellzunge zu. "Erzfuß, einer meiner ehemaligen Liebhaber, die nicht an dieser sagenhaften tödlichen Krankheit umgekommen sind. Er wird dich nach Süden bringen, ins Tieftal. Am Greiferfelsen steigst du hinauf, und von da aus musst du dich allein durchschlagen. Am besten gehst du an der Küste entlang, die Leute da sind nicht sehr neugierig."
Er drückte ihm etwas in die Hand, das sich wie ein kleiner Geldbeutel anfühlte, und schob ihn zu dem Boot hinüber.

Schnellzunge stolperte hinein, wie vor den Kopf geschlagen, und trat in Wasser.

"Hat etwas reingeregnet", erklärte der Mann im Boot, von dem Schnellzunge immer noch nicht viel erkennen konnte, und drückte ihm einen großen Becher in die Hand, "Hier, schöpf mal."

Mechanisch begann er, das Wasser aus dem Bootsboden zu schaufeln.

"Mach's gut, Pfeiflauf, und spiel nicht mehr mit Pistolen", hörte er noch vom Ufer, dann füllte nur noch das Rauschen des mächtigen Flusses und das Platschen des Wassers, das er über Bord schüttete, seine Ohren.
Als er noch einmal zum Ufer hinübersah, war die Fedkutsche verschwunden.

 

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