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Feuersieg erholte sich zusehends. Nach drei Tagen ging er in der Jurte umher, nach weiteren zweien verließ er, dick eingepackt und mit Vaters alten Stiefeln an den Füßen, die Schneehütte und wanderte für ein paar Minuten draußen umher. Weitlicht beobachtete ihn heimlich vom Eingangstunnel aus. Er ging unbeholfen durch den tiefen Schnee und wusste sichtlich nicht, wohin er zu treten hatte, um Kräfte zu sparen. Kein Wunder, dass er in die Schneewehe eingebrochen war.

Immer noch war kein Wort darüber gefallen, warum er eigentlich hier war. Mit Weitlicht hatte er überhaupt wenig gesprochen, auch wenn ihr nicht entging, dass er sie oft ansah.

Und dann kam der Tag, an dem er mehrere Stunden mit Vater unterwegs war. Als sie zurückkamen, war es bereits dunkel. Vater schob einen erbeuteten Hasen vor sich her, als er durch den Eingangstunnel kroch, und Mutter klatschte in einem seltenen Gefühlsausbruch vor Freude in die Hände. Frischfleisch!

"Er macht sich", brummte Vater und lächelte seine Frau an. "Und so ein zahmer Wolf hat erstaunliche Vorteile. Das Vieh hat den Hasen direkt auf uns zugetrieben - ich musste nur noch schießen."

Mutter nahm den Hasen und begann ihn abzubalgen. Weitlicht schaute auf den Tunnel und wartete darauf, Feuersiegs roten Schopf zu sehen, sein schmales Gesicht mit dem etwas vorstehenden Kinn, das noch eckiger wirkte, seit er vor einigen Tagen den Bart abrasiert hatte.

Er kam erst nach einer Weile, und seine Augen wanderten so lange durch den Raum, bis sie den ihren hinten bei den Lagern begegneten. Dann erst stand er auf. Der Wolf schlüpfte hinter ihm aus dem Tunnel.

"Sturmfrei", sprach er Vater an, "Es wird Zeit, dass ich dir danke für alles, was du für mich getan hast. Ohne dich wäre ich wohl erfroren."

Stille machte sich in der Jurte breit. Weitlicht fühlte sich, als habe ihr jemand die Oberkleider weggenommen und sie in der Kälte stehengelassen. Wer hatte ihn denn gerettet? Wer hatte ihn gepflegt, umsorgt?

Feuersieg schien nicht zu bemerken, wie seine Worte auf seine Gastgeber gewirkt hatten. Er sah aus, als sei er im Gegenteil sehr zufrieden mit sich. War er sich seiner Unhöflichkeit etwa gar nicht bewusst?

Jetzt sprach er weiter. "Es wäre mir darum eine Ehre, dein Schwiegersohn werden zu dürfen. Gib mir deine Tochter zur Frau!"

Diesmal schnappte nicht nur Weitlicht nach Luft. Mutter ließ das Messer fallen. Vater stand auf, um Feuersieg in die Augen sehen zu können, und sprach langsam und überlegt: "Ich war schon mehrmals in Trutznoila, und ich habe manches gesehen, was mir nicht gefiel. Man hat mir gesagt, in den Städten sei es noch schlimmer als auf dem Land. Wahrscheinlich kommst du aus so einer Stadt. Eine Entschuldigung ist das noch nicht. Du hast beinahe einen Mond bei uns verbracht, ohne etwas Wichtiges zu sehen: Bei uns sind die Frauen so wichtig für unser aller Überleben, dass wir sie nicht übersehen. Wir schieben sie nicht herum, wir sprechen mit ihnen, und wenn wir ihnen etwas verdanken, dann danken wir ihnen."

Feuersieg starrte ihn an und blinzelte sichtlich verwirrt.

"Wegen meiner Tochter - nun, ich sehe, dass sie dir gefällt, und ich sehe auch, dass sie dich mag."

Weitlicht spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. Mochte sie ihn wirklich?

"Aber", fuhr ihr Vater fort, "sie ist meine einzige Tochter, und ich bin für sie verantwortlich. So wie du eben fragtest, hörte es sich an, als wäre es ein großes Glück, dich als Ehemann zu bekommen. Verzeih meine Ehrlichkeit, aber ich kann das nicht sehen - du hast nichts, du kannst nichts, und es wäre für Weitlicht zu schwer, die meiste Arbeit allein zu tun und dir nebenher noch das Überleben in den Windlanden beizubringen. Vor allem, wenn du ihr Können nicht anerkennst, weil sie eine Frau ist."

Weitlicht verstand nichts mehr. Wenn Feuersieg sie heiratete, würde er sie doch wohl mitnehmen? Warum sollte er hierbleiben wollen? Sie trat einen Schritt näher.

Feuersieg drehte den Kopf zu ihr. Er sah aus wie ein kleiner Junge, der gescholten wurde, obwohl er eigentlich nur hatte helfen wollen. In diesem Moment wusste Weitlicht, dass sie ihn liebte.

"Es wird Zeit, dass du uns deine Geschichte erzählst, Feuersieg." Mutter wischte das Messer ab und schob den Hasen mitsamt der ledernen Unterlage beiseite. Ihr Mann setzte sich neben sie und schaute Feuersieg auffordernd an. Zögernd ließ der junge Mann sich ihnen gegenüber nieder. Weitlicht setzte sich auf die andere Seite ihrer Mutter. Sie nahm den Blick nicht mehr von ihm.

Feuersieg schaute auf seinen Schoß, wo seine Hände nervös an dem schlichten Gürtel herumspielten, der die geliehene Tunika zusammenhielt. Schließlich begann er zu sprechen, aber die Augen hob er nicht. "Als ich mit vierzehn Jahren ein schweres Fieber überlebte, nachdem alle mich schon aufgegeben hatten, dachte ich, ich könnte alles schaffen. Mein Vater hat mich darin immer bestärkt. Ich heiße nicht umsonst nach diesem Ereignis. Und ich habe tatsächlich alles geschafft - ich war gut in der Schule, ich hatte viele Freunde, und ich konnte gut kämpfen. Die Kriegerprobe habe ich mit Leichtigkeit bestanden, ich wurde als einer der 500 übernommen, wurde in der Ausbildung mehrmals ausgezeichnet und bekam sofort danach einen Posten bei der Kriegerschaft in Turming.

Als im letzten Lichtmond ein hoher Besucher aus dem Umfeld des Königs in Trutz nach Turming kam, wurde ich als Schutzwache eingeteilt und war sehr stolz. Im Nachhinein betrachtet hatte ich keinen Grund dazu, denn anscheinend war ich nur als Bauernopfer ausgesucht worden. In der zweiten Nacht war ich als zweite Wache eingeteilt. Als ich zur Ablösung kam, bot mir mein Vorgänger etwas von dem kühlen Kräutertrunk an, den er dabeihatte. Ich trank ohne zu überlegen, zumal ich den Krieger gut kannte - oder eher gut zu kennen glaubte. Denn ab da kann ich mich an nichts mehr erinnern.

Als ich wieder aufwachte, war der Politiker tot, erstochen mit meinem eigenen Dolch. Ich wurde sofort festgenommen, und weil ich hoffte, dass man mir nur Nachlässigkeit im Dienst vorwerfen würde und nicht Mord, wehrte ich mich mit keinem Wort, um mir den guten Willen der Ankläger zu erhalten. Darauf hatten sie wahrscheinlich spekuliert. Ich wurde so schnell verurteilt, dass ich gar nicht so schnell begreifen konnte, was da passierte. Drei Tage nach dem Tod des Gesandten war mein Haar abgeschnitten."

Weitlicht schaute fragend zu ihrem Vater. Was bedeutete das?

Feuersieg bemerkte ihr Unverständnis sofort. "Kurzes Haar ist ein Zeichen für Dienstleister. Das sind die Leute, die unwürdige Arbeiten verrichten müssen, die nichts gelten und wenig Rechte haben. Niemand hört auf das, was ein Dienstleister sagt, und er bekommt keine zweite Chance. Ich wurde an den Nachtsee geschickt, sollte dort Fischgekröse beseitigen, Netze flicken, Boote säubern. Ich war wie betäubt und wäre wohl einfach gegangen, wenn sie mir nicht Golden weggenommen hätten."
Er legte die Hand auf den Kopf des Wolfes, der ruhig neben ihm lag. "Sie wollten ihn töten. Ich habe immer noch nicht weiter gedacht, aber das konnte ich nicht zulassen. In der Nacht holte ich ihn aus dem Käfig, in den sie ihn gesperrt hatten, und floh nach Westen. Ich wanderte wochenlang nachts, stahl ein Fed, um schneller voranzukommen, bis zum Mittelkamm. Dann ging ich hinüber."

Vater beugte sich vor. "Über den Mittelkamm? Allein?"

"Mit Golden", sagte Feuersieg, "Und es war ja noch Sommer."

Drei Augenpaare schauten ihn verwundert und aufmerksam an. Er erwiderte den Blick offen. Nichts war von Stolz darin zu lesen. Er hatte eine Tatsache berichtet, nicht mehr.

Mutter nickte langsam. "Fahr fort", ermunterte sie ihn.

"Bis zum Ende des Sommers streiften wir durch die Grünlande, jagten, genossen die Freiheit. So viel davon hatte ich noch nie gekannt. Alles ist so üppig und reich dort... im Sommer.
Als der erste Schneesturm über das Land hereinbrach, wurde mir klar, dass ich allein mit einem Wolf niemals den Winter überstehen würde. Ich begann, das Land zu durchstreifen auf der Suche nach einem Unterschlupf, obwohl ich eigentlich wusste, dass ich in den Windlanden sicherer auf Menschen treffen würde. Ich hielt mich zu lange damit auf, und als ich schließlich hierher aufbrach, war es schon zu spät, der Winter war schneller als ich.
Eine Weile versuchte ich, mich allein durchzuschlagen, grub mir eine Schneehöhle in der Nähe eines Flusses und lebte vom Fischen. Aber dann ging mein Vorrat an Brennholz zu Ende, und mir blieb nichts anderes übrig, als mich mitten im Winter auf den Weg zu machen. Ein paar mal dachte ich, ich sähe eine Hütte, aber dann waren es doch nur Schneehügel. Ich war bereits am Ende meiner Kräfte, als ich in die Schneewehe einbrach, in der Weitlicht mich schließlich fand."

Weitlicht wurde es warm ums Herz. Das war das erste Mal, dass er ihren Namen aussprach, und er tat es, als würde er ihn streicheln.

"Das ist meine Geschichte", fuhr Feuersieg nach einer kleinen Pause fort, "Darum bin ich hier. Ich habe viel von euch gelernt, und ich möchte noch mehr lernen." Er wandte sich den beiden Frauen zu. "Ich - ich danke euch für die Rettung und die Pflege. Ich verdanke euch mein Leben. Verzeiht, wenn ich euch beleidigt habe, ich wusste es nicht besser. Ich bin so erzogen, aber ich werde lernen, anders zu denken und zu handeln."

Niemand sprach. Der Wolf gähnte, dass seine Kiefer knackten. Feuersiegs Blick wanderte hilfesuchend zu Weitlicht. Sie erwiderte ihn und lächelte ganz leicht. Dann bemerkte sie, wie ihre Mutter sie von der Seite ansah.

"Willst du unsere Tochter immer noch heiraten?" fragte Vater ruhig.

"Ich liebe sie", stieß Feuersieg so hastig hervor, als würde er sich sonst an dem Satz verbrennen. Er holte tief Luft und fuhr langsamer fort: "Aber ich sehe ein, dass es nicht klug wäre. Ich kann nichts, was hier zählt. Ich möchte, dass sie..." Er stockte kurz. Beinahe schien er selbst verwundert zu sein über das, was er da sagte: "Ich möchte, dass es ihr gut geht."

Weitlicht schoss das Blut in den Kopf. Jetzt war er sogar einen Schritt weiter gegangen als die Nordener es taten. Niemals hätte Vater laut vor Zeugen gesagt, dass er seine Frau liebte. Sie wusste nicht, ob sie deshalb strahlen sollte - oder weinen, weil er sie trotzdem nicht heiraten konnte. Jetzt war es an ihr, auf den Schoß zu schauen und die Hände um das freie Ende ihres Gürtels zu klammern. Es war so unerträglich schwer, ihren Vater nicht mit Bitten zu bestürmen, nicht aufzuspringen, Feuersieg um den Hals zu fallen und sich so auch noch ungehörig zu verhalten.

Wieder spürte sie den Blick ihrer Mutter auf sich ruhen. Aber es war nicht Frauensache, jetzt zu sprechen und zu entscheiden. Weitlicht blinzelte unter den Wimpern hervor zu ihrem Vater hinüber und sah, wie seine Hand nachdenklich und unbewusst nach der ihrer Mutter fasste.

Schließlich sprach er, fest und überlegt wie immer: "Ich lasse das Binden zu. Aber es soll erst im Frühjahr stattfinden, wenn wir uns mit anderen Familien treffen können. Bis dahin kannst du noch viel lernen. Ich werde dich unterweisen. Aber du solltest dir gut überlegen, ob das Leben in den Windlanden für dich taugt. Ich werde nicht zulassen, dass du Weitlicht mitnimmst in die Berge, in die Grünlande oder gar zurück nach Trutznoila. Das Leben eines Dienstleisters ist schwer, das habe ich gesehen, aber es ist machbar - für seine Frau aber ist es unerträglich. Sei ehrlich mit dir selbst, denn wenn du meine Tochter heiratest, bist du an dieses Land gebunden."

Feuersieg sprach leise, aber trotzdem lag eine unbeirrbare Sicherheit und Leidenschaft in seiner Stimme: "Ich wäre fast gestorben. Aber ich war noch nie so frei wie hier, das Leben war noch nie so kostbar, so gut, so - so richtig. Ich nehme dich beim Wort, Sturmfrei. Ich werde so viel lernen, wie ich kann, und wenn du es dann für richtig hältst, werde ich sie im Frühling heiraten. Wenn sie es möchte..."

Es war nicht der Augenblick für Weitlicht, zu sprechen, aber sie versuchte, all ihre Liebe in das glückliche Lächeln zu stecken, das sie ihm schenkte. Das Leuchten in seinen Augen ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass er sie verstanden hatte.

 

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