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s mag den menschlichen Leser seltsam anmuten, dass ein Naturvolk wie die Elfen literarische Interessen haben sollten. Tatsächlich können viele von ihnen auch nur das Nötigste lesen und schreiben, und Romane oder Dramen wird man bei ihnen auch nicht finden.
Was aber jede Elfe fasziniert, sind Gedichte. Es gibt bei jedem Elfenvolk einen beinahe unerschöpflich scheinenden Schatz von kurzen, langen, lustigen, nachdenklichen oder tragischen Gedichten, von kurzen Versen bis zu Balladen von nahezu epischen Ausmaßen.
Der größte Teil davon wird zwar mündlich vorgetragen - für Dichtung haben die Elfen ein erstaunliches Gedächtnis -, aber jedes Gedicht wird auch als "Sicherung" auf Schriftrollen festgehalten und sorgfältig aufbewahrt. Für diese Bibliotheken sind die Elfen sogar bereit, ein ständiges Gebäude zu errichten - es sind tatsächlich kleine Häuser, in halbkugeliger Form aus zusammengesuchten Steinchen aufgemauert und mit Lehm abgedichtet.
Es ist meinem nasdewínischen Mitautor (der die Elfen natürlich, anders als ich, verstehen konnte) gelungen, zwei sehr alte Gedichte vorgetragen zu bekommen und mitzuschreiben - ein seltenes Privileg, das auch Nasdewína nicht oft gewährt wird.
Bei den ersten, kurzen Versen handelt es sich um die rituellen Worte, die beim Beginn jedes Tanzes in den hellen Vollmondnächten gesprochen werden:
Tanzlied
Elfenflügel schimmern,
silbern scheint der Mond;
die ihr in den Wiesen wohnt
tanzet, tanzet!
Nichts mehr soll bekümmern
euch, ihr Schmerzen weicht;
Elfen, glücklich schwebet leicht -
tanzet, tanzet! |
Das zweite Werk ist eine eher als Sage denn als historische Wahrheit anzusehende Ballade über den Beginn des jahrhundertealten Krieges mit den Gnômen (in alten elfischen Aufzeichungen in der Bibliothek von Belar lässt sich zwar eine hochstehende Elfe mit Namen Adi wiederfinden, und tatsächlich verschwand sie eines Tages aus ihrer elfischen Umgebung - allerdings nur, um wenig später in belarischen Registern wieder aufzutauchen...):
Adis Leid
Zu Zeiten, als das Elfenvolk
in einem Reich vereint gelebt,
ein edel Geschlecht
führt' und sprach Recht;
untrennbar die Völker zusammengewebt.
Als eines Tags des Königs Kind,
ein Elfenmädchen wunderschön,
bei des Tages Geburt
von Bienen umsurrt
allein zwischen Blüten sich wollte ergehn,
da stürmten plötzlich Gnôme heran,
in böser Absicht ausgesandt:
das Mädchen zu fassen
und nicht mehr zu lassen!
Gebunden ward sie von frevelnder Hand.
Sie schleppten die Prinzessin fort
zum Walde, dunkel, kalt und dicht
und hielten sie dort
an düsterem Ort,
und nimmermehr sah sie das Sonnenlicht.
Drum, Elfenherzen, nie vergesst
der schönen Königstochter Leid:
von ihr sprechet
den Kindern. Und rächet -
bis einstmals das Land von den Bösen befreit! |
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